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„Die Menschen wollen beteiligt werden“
Im Interview zu seinem Dienstende erklärt der scheidende Geschäftsführer der Immanuel Albertinen Diakoine wie sich diakonisches Unternehmertum seit seinem Dienstbeginn 1986 verändert hat. Herr Schmidt, Sie sind am 30. September nach 33 Jahren in der Immanuel Diakonie und der Immanuel Albertinen Diakonie mit 69 Jahren in den Ruhestand gegangen. Angefangen haben Sie 1986 als stellvertretender Verwaltungsleiter für das Immanuel Krankenhaus in Wannsee und als Verwaltungsleiter für das Hospital Feierabendheim in Schöneberg, ab 2008 waren sie Geschäftsführer eines inzwischen großen Konzerns, der seine Größe mit der Fusion dieses Jahr sogar noch einmal verdoppelt hat. In den 33 Jahren hat sich die Welt und mit ihr die Immanuel Diakonie rasant verändert. Wie hat sich diakonisches Arbeiten in dieser Zeit gewandelt?
Als ich 1986 vor dem Mauerfall in das stark subventionierte West-Berlin kam, gab es auf allen Gebieten nur wenige Entwicklungsmöglichkeiten. Alle hatten sich eingerichtet. Und so funktionierte auch Diakonie. Das, was es gab, hat man verwaltet. Da gab es nicht die Absicht und nicht die Idee, etwas Neues zu machen, das entsprach dem gesamten Lebensgefühl in West-Berlin, wie ich es erlebt habe. Erst durch die politische Wende 1989 und 1990, die uns alle überrascht hat, konnte sich auch West-Berlin entwickeln – im doppelten Sinne. Einmal, weil die politische Begrenzung nicht mehr da war und zum anderen, weil dieses künstliche Leben in Berlin aufgegeben wurde.
Wir wurden als Immanuel Diakonie dann angesprochen von Einrichtungen im Osten, zuerst aus dem Gesundheitswesen, dann aber auch von anderen sozialen Einrichtungen, wie man unter bundesrepublikanischen Bedingungen Krankenhäuser, Pflegeheime und andere Einrichtungen betreibt. Dadurch kamen die ersten Kontakte zu Einrichtungen zustande, die sich später der Immanuel Diakonie anschlossen.
Nach der Wiedervereinigung habe ich spät im Jahr 1990 schon die ersten Budgetverhandlungen zusammen mit den Krankenkassen für das Krankenhaus in Rüdersdorf geführt, da gehörte es noch gar nicht zu uns. Das war eine Musterpflegesatzverhandlung, zu der alle Brandenburger Krankenhäuser eingeladen waren, um sich als Zuschauer anzusehen, wie man das macht.
Auch die Mitarbeitenden in Rüdersdorf befürworteten die Übernahme durch die Immanuel Diakonie 1991, weil klar war, dass der Landkreis gar nicht das Know-how hatte, um ein Krankenhaus unter bundesrepublikanischen Bedingungen zu entwickeln. Die gesamte Organisation des Gesundheitswesens hat sich ja verändert.
Was war das für eine Stimmung in der wachsenden Immanuel Diakonie, in dieser Zeit, in der sich ja nicht nur in der ehemaligen DDR, sondern auch in West-Berlin alles änderte?
Ich habe eine Aufbruchsstimmung erlebt, egal ob ich mit Menschen aus Ost oder West zusammen war. Die Mitarbeitenden, die ich nach und nach in den Einrichtungen kennengelernt habe, hatten alle eine hohe Bereitschaft zusammenzuarbeiten, weil sie davon ausgegangen sind, jetzt neue Möglichkeiten zu haben. Das war eine angenehme Form den Menschen zu begegnen.
In dieser Phase in den 1990er Jahren haben wir sehr viele Einrichtungen innerhalb von sechs Jahren übernommen, auch große, sodass die Arbeit davon bestimmt war. Das Immanuel Krankenhaus hat in dieser Zeit sehr viel begleitendes Know-how zur Verfügung gestellt. In der Verwaltung in Berlin-Wannsee wurde in Zusammenarbeit mit den neu dazugekommen Einrichtungen vieles bearbeitet, ob es Budgetverhandlungen, Pflegesatzvereinbarungen oder Entgeltvereinbarungen für die Heime waren. Das wurde alles zusätzlich zur bisherigen Arbeit von hier aus belgeitet.
Gibt es Dinge, die man rückblickend anders hätte machen sollen?
Der Vereinigungsprozess wurde ja politisch nicht so vollzogen, dass man gefragt hat, was bringen wir denn jeweils ein, sondern es war ein Beitritt der DDR zur Bundesrepublik und daraus folgerte, dass alles so wird, wie in der Bundesrepublik. Das hat mit Sicherheit auch einiges verhindert. Man hätte zum Beispiel das Poliklinik-Modell der alten DDR beibehalten können. Die enge Verzahnung zwischen ambulanter und stationärer Tätigkeit war in der DDR schon deutlich ausgeprägter. Heute wären viele froh, wenn sie diese hätten. In Rüdersdorf haben wir das Poliklinik-Modell beibehalten, obwohl uns das sehr viel Kraft gekostet hat, weil es Jahre gab, in denen es nicht sehr geschätzt und politisch unterstützt wurde. Auf lange Sicht hat sich das aber bewährt.
2008 wurden Sie Geschäftsführer zusammen mit Elimar Brandt, ab 2010 waren Sie alleiniger Geschäftsführender Direktor der Immanuel Diakonie. Wie hat sich das Unternehmen unter Ihrer Führung verändert? Welche Idee von Führung hat Sie geleitet?
Ab 2010 hat in der Immanuel Diakonie ein vollständiger organisatorischer Umbau des Konzerns stattgefunden. Wir hatten eine neue Größenordnung erreicht. Gemeinsam mit dem Kuratorium gab es die Entscheidung für eine komplett neue Leitungsstruktur. Erst ab 2010 gab es die anderen Geschäftsführer für die verschiedenen Gesellschaften innerhalb der Immanuel Diakonie. Bis dahin hatte es nur einen Geschäftsführer für alles gegeben, die anderen waren Verwaltungsleiter. Jetzt als Geschäftsführer konnten sie in verantwortlicher Position Entscheidungen treffen und das operative Geschäft vor Ort leiten. Für die Einbindung auf Konzernebene blieb ich ja weiterhin Geschäftsführer aller GmbHs.
Seitdem gibt es auch erst die Geschäftsführerkonferenz, in der wir Dinge für unterschiedliche Unternehmensbereiche gemeinsam entwickelt haben. Damit haben wir eine ganz andere Kommunikationstiefe erreicht. Die Geschäftsführer konnten jetzt in ihre Einrichtungen gehen und den Mitarbeitenden berichten. So konnten sie die Leute vor Ort mitnehmen und für die Durchsetzung bestimmter Maßnahmen auch gewinnen. Die Mitarbeitenden haben erlebt, dass man mit den Leitungspersonen vertrauensvoll zusammenarbeiten kann, dass sie einhalten, was sie zusagen. Sie haben erlebt, dass wir Arbeitsgebiete, Prozesse und die Wirtschaftlichkeit verbessert haben und trotzdem ordentlich mit den Menschen umgegangen sind.
Die ganzen Konzernbereiche – sei es die Unternehmenskommunikation, das Personalwesen, die Finanzen, die Miethausverwaltung oder die Seelsorge – haben sich durch diese Maßnahmen ebenfalls entwickelt. Es war mir immer wichtig, dass wir den jeweiligen Bereichen und Fachleuten eine hohe Eigenständigkeit zugestehen. Sie sind ja die Experten. Ich bin auch ein bisschen stolz darauf, dass die Leute, die in den jeweiligen Bereichen arbeiten, das auch in Anspruch genommen haben. Sie haben gemerkt: Von mir erwartet man einen Beitrag für das positive Gesamtgeschehen. Ich muss nicht darauf warten, bis ich das in alle Einzelheiten gesagt bekomme, sondern man erwartet von mir, dass ich mich als Fachfrau oder Fachmann für einen Bereich beteilige. Dadurch ist Qualität entstanden.
Woher haben Sie diesen Führungsstil mitgebracht?
Das hat sicher mit einem bestimmten Menschenbild zu tun. Es hat auch damit zu tun, wie ich gerne leben möchte. Ich habe schon als Jugendlicher versucht, alles dafür zu tun, selbstbestimmt leben zu können und meine eigenen Entscheidungen zu treffen, aber mich auch zu verbinden und mit anderen Menschen Dinge gemeinsam zu tun. Ich habe schon sehr früh erkannt, dass ich bestimmte Begabungen habe und dass andere Menschen andere Begabungen haben und dass es schön ist, diese zusammenzubringen. Und nichts anderes habe ich auch in dieser Konzernorganisation versucht.
Ich denke auch, dass sich das bewährt hat. Ich treffe so viele Menschen bei uns, die sagen: Ich fühle mich hier wohl, ich arbeite hier gerne, ich denke für meinen Bereich mit und gebe etwas dafür her, um beteiligt zu sein. Beteiligung ist übrigens etwas ganz, ganz, ganz Entscheidendes. Menschen müssen beteiligt sein. Nicht nur, dass sie die Information bekommen, sondern dass sie sich dazu äußern können, dass sie mitbekommen, was die Menschen nebenan machen und wie sich die Gesamtheit einer Organisation tatsächlich entwickelt. Es gibt ganz wenige, die einfach nur einen Dienst nach Vorschrift machen wollen. Ich glaube, die meisten Menschen möchten an den Dingen, für die sie viel Lebenszeit zur Verfügung stellen, beteiligt sein. Und wenn Menschen beteiligt sind, dann bringen sie auch ihre Begabungen, ihre Ideen und ihr Engagement ein.
Welche Werte haben Sie in Ihrer Arbeit und Ihrem Leben geleitet?
Der Wert Immanuel ist mir besonders wichtig, weil er alle unsere Werte gut zusammenfast, genauso wie unser Anspruch, immer ein Stück mutiger zu sein. Ob das Bauvorhaben oder Personaleinstellungen sind, das erfordert auch immer Mut. Die meisten Entscheidungen haben sich im Nachhinein bewährt.
Eine kleine persönliche Anekdote dazu. Wie viele wissen, habe ich immer wieder Reisen nach Kanada organisiert, wo wir als Gruppe von acht bis zwölf Leuten mit einem kleinen Flugzeug an einer Stelle in der Wildnis abgesetzt wurden. Mit Kanus sind wir die Flüsse zurück in die Zivilisation gefahren oder wurden nach zwölf Tagen an einer anderen Stelle mit dem Flieger wieder abgeholt. Das ist sowas von herausfordernd, man begibt sich in eine komplette Unsicherheit. Man ist unterwegs mit anderen Menschen und begreift ganz schnell, dass man aufeinander angewiesen ist und dass man bitte nur das tun sollte, was man wirklich kann und bitte niemand versuchen sollte, etwas zu tut, das er nicht kann, weil man sonst die ganze Gruppe in Gefahr bringt. Wenn alle nur das tun, was sie wirklich können, profitieren die anderen davon. Die einen können gut auf Bäume klettern und die Lebensmittel vor den Bären schützen, die anderen können ein Kanu durch Stromschnellen steuern und der nächste kann gut Feuer machen oder gutes Essen kochen, weil man auch körperlich fit bleiben muss. Und wenn alle das tun, was sie können, dann geht so ein Ding auf. Es ist eine mutige Entscheidung nach der nächsten, jeden Tag. Auch daher kommt meine Erfahrung, wie Menschen zusammenleben können. Es ist ganz, ganz wichtig, dass man anderen Menschen vertraut. Das setzt voraus, dass auch andere Menschen beteiligt sind und sich ausdrücken können. Kommunikation ist etwas ganz Wichtiges. Und die steht deshalb auch in den Angeboten, die unsere Personalentwicklung macht, im Mittelpunkt.
Wie geht es jetzt weiter für Sie? Zurück in die kanadische Wildnis?
Ich finde es bemerkenswert, dass das Verhältnis zu den Leuten, die jetzt die Verantwortung in der neuen Struktur weitertragen werden so ist, dass man mich gefragt hat, ob ich die noch laufenden Bauprojekte mit zu Ende führe, sei es das Diakonie Hospiz Woltersdorf oder seien es die Anbauten für das Immanuel Klinikum Bernau und für die Psychiatrie der Immanuel Klink Rüdersdorf oder teilweise auch noch die Sanierung im Immanuel Krankenhaus Berlin am Standort Wannsee. Das ist zwar auch pragmatisch, aber nicht selbstverständlich. In diesen Positionen ist es eigentlich üblich, dass es einen Knall gibt und man von heute auf morgen wie im amerikanischen Film seinen Karton mit den persönlichen Sachen mitnimmt, den Schlüssel, das Handy und den Laptop abgeben muss und dann ist Schluss. Ich wünsche allen, die die Verantwortung tragen und allen anderen, dass sich das Miteinander in dieser Form in der Immanuel Albertinen Diakonie weiterentwickelt.
Aber ansonsten will ich auch in den Ruhestand. Das will ich auch mal ganz klar sagen. Ich habe kein bestimmtes Vorhaben, sondern ich freue mich darauf, die Dinge, die zu meinem Leben gehören, jetzt aus einer anderen Perspektive beobachten zu können. Ich bin sehr gespannt, wie das wird und freue mich schon darauf, dass ich mehr Gestaltungsspielraum habe für andere Dinge. Ich werde keine Langeweile haben.
Gibt es noch etwas, das Sie nach 33 Jahre in der Immanuel Diakonie und der Immanuel Albertinen Diakonie zum Abschluss sagen möchten?
Ich würde mich wirklich freuen, wenn die Grundmotivation für diakonisches Handeln, die sich in der christlichen Nächstenliebe wiederfinden lässt, wenn die in Zukunft auch unter sich verändernden gesellschaftlichen Bedingungen noch möglich ist. Nichts wird so bleiben, wie es heute ist, das weiß ich, weil ich so viele große Veränderungen selbst erlebt habe. Trotzdem wäre es mein Traum, wenn dieses Grundverständnis, sich um Menschen zu kümmern und für Menschen da zu sein, weiterhin möglich ist, auch in dieser institutionell engen Anbindung an Menschen, die in Kirchen Gemeindeleben praktizieren. Es wäre mein Wunsch, dass irgendwann, wenn ich selbst vermutlich schon nicht mehr lebe, die Leute sagen, die haben in der Zeit um 2018 und 2019 mit der Fusion eine gute Entscheidung getroffen, das haben die richtig gemacht.
Ich empfinde eine unglaublich große Dankbarkeit für das, was ich machen durfte. Ich hatte das nie so geplant, ich war als Person und von meiner Familie her nie auf Erfolg getrimmt. Es war nie meine Perspektive, irgendwo der große Chef zu sein. Ich habe mich immer mehr um die Inhalte und die Sachen selbst gekümmert und das, was man zusammen machen kann. In diesem Tun war ich dann aber immer bereit, Verantwortung zu übernehmen. Deshalb bin ich dankbar für das, was ich machen durfte. Ich habe mich auch sehr unterstützt gefühlt von sehr, sehr vielen Menschen, mit denen ich zusammengearbeitet habe. Dafür sage ich danke.